Dienstag, 6. Februar 2007

FLÜCHTIGKEITSFEHLER

Die Zukunft war gesichert, jetzt, da Kellermeier seinem Hang zur Literatur, dem er bislang im stillen (oder im Stillen?) - scheißegal - gefrönt hatte, den ihrer würdigen öffentlichen Rahmen geben wollte.
Er hatte sich – endlich – ans Werk (ans Werk!) gemacht, den definitiven Zeitroman zu beginnen mit einem fulminanten Satz (mit einem Satz!), den auch der Großkritiker NN als hinreißend zu rühmen zu unterlassen sich nicht würde unterstehen können. Und der begann so: "Als David des Goliath ansichtig wurde, griff er redaktionsschnell zu seiner..."
Hier stutzte Kellermeier, seufzte abgrundtief auf, ließ den angetrunkenen Kaffee (mit Cognac!) in der Kantine stehen und schlurfte zurück in die Sportredaktion.

DIE NEUEN BAUERNREGELN

„Der Winter ist viel zu warm“, schreibt uns DIE ZEIT am 18. Januar, „deshalb haben wir die guten alten Wettersprüche dem unheimlichen Klima angepasst – stilecht im Spitzendeckchen“. Unheimlich sind die Sprüche schon, aussehen tun sie eher wie diese selbstgetöpferten Türschilder: Hier wohnen Katja und Thomas, Dennis und Wuffi Dazu kommt dann gewöhnlich ein Häuschen und Vögelchen, ein Seehund, Schneemann oder Leuchtturm. Genauso gestaltet es Artwork: Anne Lueck.
Garantiert selbstgehäkelt sind die Sprüche: Blüht jahrein, jahraus das Heu, bleibt auch sein Schnupfen stets dir treu. Nun blüht Heu so wenig wie Bäume husten und Schnupfen hat es auch nicht. Nebbich, es floriert noch mehr: Blüh’n im Jänner die Geranien noch, steht’s Flüsslein bald jahrhunderthoch. Das alljährliche Frühjahrsjahrhunderthochwasser nährt sich eher von Riesenschneemengen. Dazu ist es ein nicht nur aber besonders die Landwirtschaft schwer betreffendes Übel gegen das menschlicher Erfindungsgeist noch immer nichts Rechtes auszurichten vermag. Wohl aber manche gute, alte Bauernregel! Wir protestieren daher schärfstens gegen die Verunglimpfung des überkommenen ländlichen Kulturgutes. Die Vereinigte Deutsche Bauernregelschaft. weh,weh,weh.alsowissense.ne
25 Grad sind für jeden Schneemann hart. Genau, besonders minus. Einst tat die Hamburger Morgenpost – lang ist’s her – 50 Mark aus für einen gelungenen Zweizeiler. Ein Spitzenhonorar für einen Lyriker! Da hab ich mal die Freitagsausgabe bedient: Fünf Tage Job sind abgeklappert, wenn Derrick über’n Bildschirm tappert.
Den geb ich umsonst – bitte aufnehmen in den Hundertjährigen Kalender:

Kommt erst die blöde WinterZEIT,
sind saure Gurken nimmer weit.

...

SCHNEIDE MIR TÄGLICH EIN OHR AB

Ich fahr den Pico Boulewart entlang,
so spricht man das aus hier, hab
eine unaufschiebbare Verabredung
in der Bar zum roten Ochsen, Red Ox,
so heißt das hier, der Rest des Lebens
kann nur besser werden, tote Ochsen
am Tresen, Figuren aus fremden
Gedichten, und ich am Spieß setz mich
dazu, neben diesen Graukopf, eingefallene
Wangen, sieht aus wie ein guter alter
Bekannter, Kettenraucher, flacher Bauch,
eh er verhungert, ersäuft er sich oder
springt vom Dreimeterbrett in jedes
vorgehaltene Schnapsglas, Kopf auf
der Theke, Ringelfalten um den Hals,
Bierschaum unter der Nase, hat einen
Bart jetzt, er ist alt geworden, ist so
gut wie tot, und ich geb ihm einen
freundschaftlichen Schlag in den Nacken,
wie sich Kumpels in B-Movies halb
den Schädel abhauen, he sag ich,
hab in diesem zerknitterten Band
die Titten, Ärsche und Pussis gezählt,
wollte nur wissen, ob du ein
Verhältnis zu Zahlen hast oder
sonst eins zu irgendwem oder was.
Er rutscht ruckartig vor, drückt sich
Mund und Nase platt, wie’n Kinderkopf
am Schaufenster, toy’s-R-us, immer rein
ins Leckbier, ja Heineken, sag ich,
wohl bekomm’s, nichts fruchtiger als Bierdunst,
mir mußt du nichts erzählen, sag ich,
ich schreibe Gedichte und schick
sie an Zeitschriften, Scheißspiel,
Gott sei Dank kommt nie was zurück,
denkst du, aber die Zeitschriften sind eben
noch nicht reif dafür, die Gedichte sind
ihrer Zeit zu weit voraus, du bist nicht
sehr gesprächig, Alter. Ich beuge mich
vor und flüstere ihm in den Nacken,
glaube mir, alles, was du geschrieben hast,
kann jederzeit gegen dich verwendet
werden, in ungeahnten Zusammen-
hängen, du hast immer den heißen
Atem der Meute im Kreuz, da kann man
nichts machen, schneide mir täglich
ein Ohr ab. Und er zuckt nicht einmal
zusammen, kaum ein Tropfen Blut
hängt an der Klinge, als ich das
Messer wieder zusammenklapp.
An den Gerüchten ist doch was
dran, er ist tot oder so gut wie
leblos und wahrscheinlich
ist das gar nicht
Bukowski.
He, schreit der Wirt, bist du
wahnsinnig? Was hast du
mit Weissner gemacht?
Jetzt aber raus h i e r » »

WERBUNG

Wer haßt Werbung nicht! Ich kann sie nicht ausstehen, so oft muß ich nicht pinkeln gehen oder Bier holen, wie diese Werbestrategen mir den Abend zerhacken.
Aber es gibt Ausnahmen! Einen Werbespot liebe ich geradezu. Da sitzt Ingo Naujoks als Hippipapi vor seinem Bauwagen und genießt seinen Becher Kaffee sowie den verdienten Feierabend-morgen- nachmittag und wird von seinem liebreizenden Töchterchen ( lieb reizend?) unablässig über die Welt da draußen befragt. Papa Geduldig hat auf alles eine Antwort, immer die gleiche: Das sind Spießer. Nur als Töchterchen ihm vorschwärmt, was sie einmal werden will, wenn sie groß ist, da verschluckt er sich. Woran? An ihren Plänen, an der unvermeidlichen Einsicht in die Fruchtlosigkeit aller Erziehungsbemühungen, am Kaffee? Ja, es ist tragisch, Erziehungsziel verfehlt, alle Mühen umsonst; niemand bekommt in den Kindern das, was er erträumt hat. Eine alte Erkenntnis, gewiß. Dieses Werbefilmchen muß schon Jahrzehnte alt sein. Klar, wann hat man in Bauwagensiedlungen gelebt und die feste Burg Mietwohnung verachtet, in den Siebzigern, allenfalls noch in die Achtziger hinein – dann war Schluß mit der Sozialromantik. Ob ich das beweisen kann? Natürlich, dieses süße kleine aufgeweckte Mädchen ist längst erwachsen, nahm gehörig zu an Alter und Umfang, und hat seine Drohung wahr gemacht: Wenn ich groß bin, will ich auch ein Spießer werden. Dazu ist sie gleich im Fernsehen geblieben, die gute Tine Allesmußraus Wittler.
Diese Achtzigerjahretapete, schrecckkklicchhhh!!! Ein neues Drehkippklippklappsofa muß her, diesen alten Bauernschrank in Mahagonioptik streichen wir frisch grasgrün, die Wände schreien nach Farbe! Hier ein rosa Wölkchen von Gardinen und Tüll vor die Deko, dort etwas Vorgefundenes umgewidmet, wir basteln eine Stehlampe aus dem Elefantenfußschirmständer.
Frisch auf jeden Holzfußboden ein gleich aussehendes Laminat gepackt und darauf gestellt, was immer bei Ikea raus mußte. Empfehlung: Unbedingt aufzeichnen, dabei nur grob die Kernsätze mitschneiden und das ganze Gequatsche mit dem Beamer auf die Wand des Nachbarn projizieren. Macht Euch die Welt bewohnbar. Was dem Körper nicht bekommt, wird auch ausgekotzt. Und unbedingt aufbewahren, wer nicht gleich drüber lacht, muß das bitter nachholen. Das wird der kommende Partyspaß!

MOTTO

»Weit werde ich gehen,
schön weit, rede nicht,
denk mir nichts, durch
die Natur, ein Bohemien;
l’amour, die grenzenlose,
nimmt mich hin – ich bin
glücklich wie mit einer Frau.«


Je ne parlerai pas, je ne penserai rien:
Mais l’amour infini me montera dans l’âme,
Et j’irai loin, bien loin, comme un bohémien,
Par la nature, – heureux comme avec une femme.

( Arthur Rimbaud, Sensation, 2. Strophe)

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